Besuch in Sarajevo, das Konzert
Samstagmorgen
Die Hälfte der Band und der Asshole-Crew liegt im
Koma. Als ich etwa um zwei Uhr morgens die Stube betrat, musste ich zu meinem
Erstaunen feststellen, dass nur Jogi und Ralf schlafenderweise da waren, der
Rest war ausgeflogen. Die Jungs sind, wie ich später erfahre, mit Antje
im lebenslustigen Sanitätsbereich versackt, haben fröhliche Lieder
zu Dago´s Wandergitarre gesungen und Bier gleich kübelweise zu sich
genommen. Jetzt liegen sie leichenblass im Bett und brauchen sicher Stunden,
um wieder fit zu werden...
Antje, die für das Desaster verantwortlich ist, tummelt sich schon um
acht Uhr putzmunter im Hangar und kümmert sich um den Aufbau der Lichtanlage
- Training ist scheinbar alles! Torsten ist ebenfalls schon an der Bühne.
Die Enttäuschung ist ihm etwas anzumerken, als er erfährt, dass
die Baggage noch im Bett liegt , schließlich wollten wir mit ihm am
Schlagzeug für den Gig Jump" einproben. Der Stress der letzten
Tage ist auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen, er hat dunkle Ringe unter
den Augen, und sieht auch sonst abgespannt aus.
Tinitus ist schon vollzählig mit einem auffallenden Glänzen in den Augen vor der Bühne versammelt. Wir machen aus, dass wir nach dem Assholes-Soundcheck die Probe auf der Bühne machen werden - hoffentlich geht das gut... Nach und nach trudelt der Rest der Band ein, und nach einigen unvermeidbaren Testläufen des Drummonitors kann der Soundcheck beendet werden. Klingt erstaunlich gut auf der Bühne, wenn man bedenkt, dass wir uns auf aufgestabelten Europaletten, mitten in einem leeren Hubschrauberhangar befinden. Aber auf unseren Ralf ist eben (meist) Verlass.
Der Soundcheck mit Tinnitus, der gleichzeitig die Probe darstellt, läuft
vergleichsweise stressiger ab. Man kann sich nicht einigen, mit welchem Stück
begonnen werden soll, irgendwo kracht es in der Monitorbox, mal funktioniert´s
Kabel nicht, dann funktioniert das Effektgerät nicht, usw., usw. Marc,der
Gitarrist, der direkt links neben mir steht, ist brüllend laut, aber hört
sich nicht, der Drummer spielt alles einige Takte zu schnell, und hat - zu allem
Überfluss - keine Sticks dabei, und muss sich Sticks vom Schmatzer leihen
- wenn das mal gut geht... Endlich sind die Anfangsschwierigkeiten behoben,
und wir können das Programm proben.: Runaway Train" ( wollte ich
mit den Assholes nie spielen !), Tears in Heaven", Ein guter Tag
zum Sterben" von JBO, Father and Son" mit einer Slapstickeinlage von Tom
und Markos á la Erkan und Stefan, Swing low sweet Chariot", Breakfast
at Tiffany´s" was mir persönlich am Besten gefällt, und Far,
far away" in einer ultra-speed-version. Marc hört sich immer noch schlecht,
ist aber immer noch brüllend laut, und hat Probleme mit seiner Saitenstimmung.
Ansonsten alles gar nicht mal so schlecht. Ausserdem kann ich auch hier meinem
Ruf gerecht werden, dass ich ...in jeder Band, die nicht schnell genug
das Weite sucht...", wie Schmatz zu sagen pflegt, mitspielen muss.
Während Pano fleissig übt und Sabine Augenpflege betreibt, unternimmt
der "Rest" der crew zusammen mit Antje einen Ausflug nach Sarajevo.
Eindrücke aus Sarajevo:
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Sarajevo - im Hintergrund die alte zerstörte Stadtbibliothek |
Sarajevos Innenstadt |
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zerstörte Häuser entlang der Hauptkampflinie |
Sarajevos alter Basar |
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Gräberfeld vor der Stadt |
Sarajevos neues "Wahrzeichen", das ehemalige Pressezentrum, von dem nur noch der Aufzugsschacht steht. |
Die restliche Assholes-Band samt Crew hat sich in der Zwischenzeit auf eine Rundfahrt durch Sarajewo begeben - dachte ich. Nachdem ich Saiten gewechselt, mein Zeug wieder verstaut habe und die Bühne verlasse, treffe ich Sabine, die offensichtlich die Abfahrt nach Sarajewo verpennt hat. So bleibt für uns beide die Gelegenheit, gemeinsam am Heli-Inn zu relaxen. Markos, der Musikverrückte kommt dazu und erzählt Schwänke aus seinem Leben und von seinem Traum, später eine Karriere als Musiker zu starten. Gegen halb eins gehen wir in die Kantine zu Mittagessen. Wieder schwirren Spatzen über unsere Köpfe hinweg, und wieder muss man bei jedem Schluck Saft erst mal das Glas genau inspizieren...
Irgendwann gegen Nachmittag erwache ich aus meinem Mittagsschlaf, weil die
Jungs von ihrer Sarajewo-Seight-Seeing-Tour wiederkehren. Mit fortschreitender
Zeit machen sich an diesem Nachmittag eine gewisse Spannung und Nervosität
breit. Wir wissen nicht wirklich, wie unsere Show hier aufgefasst wird, oder
ob die Auswahl unseres Programms hier auf Gegenliebe stößt. Es ist
schon etwas anderes, irgendwo in Eifel und Hunsrück im Festzelt zu spielen,
denn da können wir die Reaktionen des Publikums durch unsere Erfahrung
einschätzen, aber hier stehen wir vor einer komplett neuen Situation.
Auch wissen wir nicht wirklich, wie die anwesenden, ranghohen Offiziere und
Kommandant Annuß auf unsere Rock´n Roll-Anarcho-Show reagieren werden.
Bei einem kurzen Gespräch vor dem morgendlichen Soundcheck hatten wir Oberst
Annuß kennen gelernt. Auf den ersten Blick wirklich ein netter, älterer
Herr, auch wenn die allgemeine Lagerstimmung eher gegen ihn gerichtet ist, wie
wir aus Gesprächen mit Soldaten erfahren mussten. Dass er eine ganze Weile
in Andernach gewohnt hat, lässt uns hoffen, dass er für uns vielleicht
doch ein wenig Verständnis für uns hat...
Dann ist es soweit.
Wir nähern uns der Stätte der ausgelassenen Freuden größtenteils
schon in Bühnenoutfit, da es an der Bühne an Möglichkeiten sich
umzuziehen mangelt. Es ist noch nicht so viel los, ein Paar hundert Gestalten
in grün tummeln sich vor dem Hangar, dessen Rolltore weit geöffnet
sind und den Blick auf die Bühne freigeben. Vor dem Hangar laufen Spielchen
zur Erheiterung, wie LKW ziehen ( einer allein mit Seil in den bloßen
Händen ) oder Darbietungen der Hundestaffel. Alles unter ohrenbetäubendem
Tekknogedudel und der Moderation eines sogenannten DJ, Soldat im Range eines
Feldwebels, von dem zu späterer Stunde noch viel zu hören sein würde.
Die Jungs von Tinnitus sind auch schon alle ganz nervös, nur bei Markos
merkt man, dass er über soviel Bühnenerfahrung verfügt, dass
er seine Nervosität im Zaum halten kann.
copyright 2000 by jogi