Der 2. Tag , Donnerstag 13.04.00

Mostar und Radio Andernach


Der Donnerstagmorgen ist ´ne Quälerei für mich. Viel zu spät wach geworden, kein Frühstück, kaltes Duschwasser. Dago und Jogi hat die kalte Dusche besonders hart getroffen.
Nach der Quälerei mit den sanitären Anlagen geht es mit dem Bus durch wild romantische Landschaften entlang der Neretva zu Füssen des Igmangebirges nach Mostar, der Stadt mit der berühmten, aber leider zerstörten Brücke. Die Fahrt ist leider etwas ungemütlich. Zum einen gleicht diese sogenannte „Hauptverkehrsstrasse" eher einem Wirtschaftsweg im Hunsrück als einer Hauptverbindung, zum anderen muss der Schmatz fast die ganze Zeit das Schiebefenster im Fonds des Busses offen stehen haben. Für uns eine erneute Kälteprüfung, für ihn eine perverse Notwendigkeit.

Unsere wunden und kalten Hintern werden mit einem Ausblick auf grandiose Landschaften belohnt. Schroffe, mit Schnee bedeckte Zweitausendergipfel, wechseln sich ab mit lieblichen, grünen Tälern. Aber auch hier das wohl bekannte Gefühl, dass vieles nur Fassade ist. Mitten in die Natur geworfene Autoreifen, Zivilisationsmüll, Autowracks... Aber: Keinerlei Anzeichen des Krieges oder von Verwüstung. „Minen könnten trotzdem hier verbuddelt sein", meint Torsten, der uns fast die ganze Fahrt über mit Infos zu den Sehenswürdigkeiten versorgt. Ach ja, die Minen! Torsten meint, dass es wohl Jahre dauern wird, bis die meisten Minen geräumt sind. Zu den Minenräumtrupps gehören meist Einheimische, manchmal auch einige von denen, die die Minen selbst gelegt haben. Für tausend Mark im Monat räumen die dann die Minen, aber nicht ohne zunächst eine Herde Schafe über das Minenfeld gejagt zu haben, um zumindest das Gröbste so zu erledigen...

Mostar! Wir machen Halt auf einem mit Trümmern übersäten Hügel über der StadtMostar.

Von hier aus haben wir einen fantastischen Blick. Die Dächer der Wohnhäuser erstrahlen in Rottönen. Ein reizvoller Gegensatz zu den hellen, umliegenden Karstbergen. Der Ostteil der Stadt: verwinkelte Gassen, Minarette - eindeutig moslemisch geprägt. Im Westteil stört ein hässlicher Betonturm, der sich augenscheinlich noch im Bau befindet, wie ein überflüssiger Stachel das sonst so harmonische Stadtbild. „Das ist der Kirchturm der neuen katholischen Kirche. Übrigens, die Trümmer, die uns umgeben, waren mal eine riesige, orthodoxe Kathedrale" , meint Torsten fachkundig. „Wurde mit mehreren Tonnen Dynamit von den Kroaten und Moslems in die Luft gesprengt, nachdem die Serben ihrerseits die Moschee und die alte, katholische Kirche zerstört hatten" fügt er hinzu.
Hauptkampflinie Mostar

Als die Serben von Kroaten und Moslems vertrieben worden waren, begannen die beiden übrig gebliebenen Parteien aufeinander einzudreschen. In der Stadt selbst zeugt die heute noch sichtbare Hauptkampflinie entlang der Neretva von den traurigen Ereignissen. Die Häuser sind in diesem Abschnitt immer noch halb zerstört und in einem jämmerlichen Zustand. Es wohnen aber schon wieder Menschen darin.

Alte Karawanserei in Mostar

Wir besuchen die alte, ehemalige Karawanserei, die mit ihrem Innenhof und den historischen Gebäuden, die jetzt Cafés sind, zu den malerischsten Orten der Stadt gehört. An den kleinen, runden Tischen sitzen hübsche Teenager, gekleidet wie in jeder anderen, mitteleuropäischen Stadt. Unvorstellbar, dass hier noch vor einiger Zeit ein erbarmungsloser Krieg herrschte... Noch unvorstellbarer ist die Tatsache, dass zu dieser Zeit so eine Art „Kriegstourismus" an der Tagesordnung war. Für ein paar Mark konnte man sich sozusagen „zwischen zwei Cappuccinos" eine Kalaschnikow mit zwei Magazinen Munition ausleihen, zur Hauptkampflinie gehen, ein paar Moslems töten, und sich wieder zurück ins Strassencafé setzen.

Etwas außerhalb von Mostar machen wir in einer Schlucht Pause, um etwas zu essen.

Mittagessen an den Buna-Quellen

Die Spezialität des Hauses ist Forelle. Ich jedoch nahm mit Schnitzel vorlieb, da ich Gräten hasse. Und wieder fühle ich mich wie beim Jugoslawen um die Ecke! Alle sprechen Deutsch, bezahlt wird mit D-Mark. Das Essen am ersten abend, der Trip nach Mostar und das Essen hier haben leider ein Riesenloch in Torstens Tantiemenkasse gerissen, so dass hier nur die Getränke frei sind...

Nachmittags geht´s es wieder zurück nach Sarajewo. Wir machen Halt an einer Schlucht, die vor fünfzig Jahren noch eine Eisenbahnbrücke überquerte. Heute liegen die Reste dieser Brücke im Fluss. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg von Titos Partisanentruppen in die Luft gesprengt, unglücklicherweise, als ein Zugtransport mit deutschen Truppen sich auf der Brücke befand...
Die beiden Jungs, die mit uns im Bus fahren, Unteroffizier Müller und der Obergefreite Kuntz -Schmatzers Liebling- stehen vor dem Bus. Bei ihnen steht eine ältere, offenbar geistig verwirrte Frau. Uffz Müller reicht ihr etwas zu Essen und eine Dose Sprite. Auf meine Frage hin, was mit der Frau los wäre, meint er, sie wäre immer hier, wenn sie vorbei führen oder Halt machten, und jedesmal würde er ihr etwas zu essen und zu trinken geben. Geld hätte er ihr nie gegeben, denn er wüsste nicht, ob es nicht in die falschen Hände geraten würde... Er hatte kaum seinen Satz beendet, als Torsten G. sich zu uns gesellt und der Frau einen Fünf-Mark-Schein zusteckt... Müllers gen Himmel gerichteter Blick spricht Bände, Torsten versteht die Welt nicht mehr, wollte er doch nur Gutes tun.

Plötzlich ist Eile angesagt, denn wir haben ja noch Großes vor.Radio Andernach im Feldlager Wir sind abends Gäste im Radiosender, und sollen ein einstündiges Asshole-Special geben. Daher gehts es im Eiltempo in den Bus und ab nach Sarajewo, denn wir wollen die Jungs von Radio Andernach nicht unnötig warten lassen. Gerade rechtzeitig erreichen wir das Feldlager.

Wir zwängen uns zu viert in eine ultraenge Kabine. Ausser mir sind noch Torsten, Schmatz und Jogi im Raum. Ab und zu schaut Lemmy mit seiner Kamera rein, um ein paar stimmungsvolle Bilder für unser Asshole-Bosnien-Video zu erhaschen. Das Interview, das von Torsten mit uns geführt wird, ist ein Riesenspass, nicht nur wegen der Biere, die uns zur Stärkung reingereicht werden.

MP3 Sounds Ausschnitte aus der Radio-Sendung als MP3-Files

Danach, ab ins "San-Valley", der sanitätseigenen Bar. In der Bar -schummeriges Licht, gute Musik, 200 auf uns gerichtete Augenpaare. „Seid ihr die Band?" „Total geil, dass ihr da seid!" „Kommt, trinkt einen mit!" Aus dem einen werden mehrere - für mich natürlich Weizenbiere. Ein total jung ausschauendes Bürschchen spricht mich an, erzählt ein bißchen über das Lagerleben, von zuhause, den Frauen... Auf meine Frage, wie alt er denn sei, meint er, er wäre fünfundzwanzig, und wäre froh, wenn er es noch bis zu seinem sechsundzwanzigsten schaffen würde. Ich beruhige ihn: „ Na klar schaffst du das, in ein paar Monaten bist du ja wieder daheim!" Er grinst nur schief und meint, dass die Prognose zu überleben wohl schlecht wäre, bei jemandem wie ihm, der Hodenkrebs hätte... „Scheiße!" Gott sei dank kehrt er bald an seinen Tisch zurück, und überlässt mich meinen dumpfen Gedanken.

Plötzlich zupft Sabine mich am Ärmel. Ich schaue auf und was sehe ich? Hinter ihr steht dieser Türke von gestern Nachmittag, und grinst breit.Marcos und Tom Im Schlepptau hat er einen baumlangen, farbigen Obergefreiten. Es stellt sich heraus, dass dieser Daroglu eigentlich Grieche ist, und genauso wie Tom, der große, schwarze Mann, singen würde. Beide würden sie in der sogenannten Lagerband singen, und würden ( fast ) alles dafür geben, vor uns auf dem Kontingentfest spielen zu dürfen. „Kein Problem" meine ich. Doch, da wäre ein Haken, erwidern sie. Sie hätten keinen Bassisten, und der Drummer hätte Masern... „Kein Problem, dann spielen der Schmatz und ich in eurer Band!" Dago im AnschlagÜber den Rest des Abends kann ich danach nicht mehr viel erzählen, da die Jungs mir vor lauter Freude noch diverse Biere ausgeben mussten. Ich glaube, mich sogar erinnern zu können, dass Dago und ich noch bei den Jungs auf der Stube waren. Es gab leider kein Bier mehr, aber eine absurde Mischung von Onkel Tom, bestehend aus einem Teil Lipton Ice-Tea und zwei Teilen Likör. Diese Zeug haute dann nochmal voll rein, so dass Dago, der alte Pazifist, sich sogar mit Sturmgewehr im Anschlag fotografieren läßt.







 

 

 

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